Ein neues Monster für Oskar

Eine Geschichte für monstermäßig mutige Kinder und solche, die es werden wollen

von Anna Trenkwald


Oskar kann nicht schlafen. Nicht, weil er nicht müde ist. Oder weil er Schlafen doof findet. Auch nicht, weil er heute noch nicht genug erlebt hat.
Nein. In Oskars Zimmer wohnt ein Monster. Und jede Nacht zur Schlafenszeit kommt es hervorgekrochen und jagt ihm fürchterliche Angst ein.

„Weißt du, Oskar, jeder von uns hat ein Monster“, sagt Papa. „Manche Monster sind ganz klein und andere riesengroß. Manche sind so schüchtern, dass man sie nie zu sehen bekommt. Und manche - so wie dein Monster - sitzen jede Nacht auf deiner Bettkante, ziehen ihre Grimassen und versuchen dir Angst einzujagen.“
Oskar schaut Papa nachdenklich an. „Heißt das, du hast auch ein Monster?“
„Ganz genau“, sagt Papa. „Ich hatte auch mal ein Monster. Und Mama auch.“
„Ehrlich?“, fragt Oskar erstaunt. „Und wo ist dein Monster jetzt?“
„So wie du älter wirst, werden auch Monster immer älter. Und irgendwann, wenn die richtige Zeit gekommen ist, verlassen sie ihren Menschen und ziehen weiter.“
„Aber ich will nicht warten, bis die richtige Zeit gekommen ist“, sagt Oskar. „Ich kann mein Monster nicht leiden. Es macht mir Angst.“
„Na, wenn das so ist, verrate ich dir einen Trick“, sagt Papa. „Du musst nämlich nur herausfinden, wie du dein Monster zum Lachen bringst. Und sobald du das geschafft hast, kann es dir keine Angst mehr machen, versprochen.“

Als Mama ihn am nächsten Tag ins Bett bringt, lässt Oskar sich extra viel Zeit, um seinen Schlafanzug anzuziehen und seine Zähne zu putzen. Aber irgendwann durchschaut Mama, was er vorhat.
„Dir kann nichts passieren“, sagt sie und nimmt Oskar in den Arm. „Papa und ich sind da und wenn dein Monster wieder kommt, machst du einfach das Licht an und rufst uns. Okay?“
„Okay“, sagt Oskar leise.
Sie gehen in sein Zimmer und Oskar schlüpft schnell unter die warme Bettdecke. Gemeinsam lesen sie noch eine Geschichte und unterhalten sich über den Tag. So lange, bis Oskar sein Monster fast vergessen hat. Mama gibt ihm noch einen Gute-Nacht-Kuss. Dann macht sie das Licht aus und zieht leise die Tür hinter sich zu.
Oskar gähnt, ihm fallen schon fast die Augen zu. Doch obwohl er wirklich müde ist, kann er einfach nicht schlafen. Kaum ist Mama draußen und das Licht aus, muss er wieder an das Monster denken. Er schaut in das dunkle Zimmer. Und tatsächlich dauert es nicht lange, da merkt er, wie das Monster langsam auf seine Bettdecke klettert. Dann setzt es sich hin und starrt ihn an.
Oskars Herz klopft wie wild. Trotzdem erinnert er sich an das, was Papa ihm gesagt hat. Er nimmt all seinen Mut zusammen und schneidet seine beste Grimasse. Mama und Papa bringt er damit immer zum Lachen. Und manchmal sogar seinen besten Freund Julius und der ist wirklich anspruchsvoll, was Grimassen betrifft.
Aber das Monster schaut ihn nur unbeeindruckt an. Dann zieht es selbst eine Grimasse - und zwar keine lustige. Schnell drückt Oskar auf den Lichtschalter, springt aus dem Bett und rennt zu Mama und Papa.
„Darf ich heute Nacht bei euch schlafen?“, fragt Oskar.
Papa lächelt ihn an. „Ich habe eine bessere Idee“, sagt er. „Heute Nacht schlafe ich bei dir und passe auf, dass dein Monster nicht wiederkommt. Und morgen fahren wir zusammen in die Monster-Handlung und suchen dir ein neues Monster aus.“

Am nächsten Morgen ist Oskar ziemlich aufgeregt. Obwohl Mama ihm eine extragroße Portion Rühreier gemacht hat, bekommt er fast keinen Bissen hinunter. Zum Glück geht es direkt nach dem Frühstück los.
Nach einer halben Stunde sind Oskar und Papa an der Monster-Handlung angekommen. „Wir haben die besten Monster der Stadt“, steht da an der Scheibe. Und: „Kaufen Sie 3, zahlen Sie 2!“
„Bling“ macht die Ladentür, als Oskar und Papa die Monster-Handlung betreten. Und nochmal „Bling“, als sich die Tür hinter ihnen schließt. Drinnen herrscht ein fürchterliches Gestöhne, Geächze und Gebrülle. Oskar greift nach Papas Hand.
„Guten Tag“, trällert es da fröhlich und die Verkäuferin kommt auf sie zugelaufen. Mit ihren wilden, strubbeligen Haaren und ihrer riesigen Brille sieht sie selbst ein bisschen wie eines der Monster aus. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Wir suchen ein neues Monster für meinen Sohn“, sagt Papa.
„Ah, da habe ich bestimmt das Richtige für Sie“, sagt die Verkäuferin strahlend und flitzt in den ersten Gang. Oskar und Papa laufen hinterher.

In den Gängen reihen sich die Käfige dicht aneinander. Es gibt große Monster, kleine Monster, dicke Monster, dünne Monster, haarige Monster, Monster mit Stacheln, Monster mit Schuppen, sogar ganz nackige Monster, Monster mit Hörnern, Monster mit Geweih, Monster mit einem Auge, Monster mit zwei Augen, Monster mit drei Augen und auch Monster mit richtig vielen Augen, Monster mit Nase, Monster mit Schnabel, Monster mit Rüssel. Es gibt grüne Monster, blaue Monster, rote Monster, gelbe Monster, braune Monster, schwarze Monster, auch lila Monster und rosa Monster. Doch ganz egal wie sie aussehen, haben alle eines gemeinsam: Oskar findet sie ziemlich gruselig. Er wird immer ruhiger und kleiner und drückt sich ganz dicht an Papas Bein, während sie an all den Käfigen vorbeilaufen.
„Und, hast du schon eines gesehen, das dir gefällt?“, will die Verkäuferin wissen.
Oskar schüttelt schüchtern den Kopf.
„Nun, dann versuchen wir es mal hier“, schlägt die Verkäuferin vor und biegt in einen weiteren Gang, in dem ein Monster unheimlicher aussieht als das nächste.

„Und was ist in dem Gang da hinten?“, will Papa wissen und deutet mit seinem Finger ganz ans Ende des Raumes.
„Alles muss raus!“ steht dort in dicken roten Buchstaben.
„Ach, das sind nur unsere Restposten“, sagt die Verkäuferin und winkt ab. Aber Oskar ist schon in den Gang gehuscht. Er ist selbst ein bisschen überrascht, wie mutig er auf einmal ist. Ohne sich auch nur einmal nach Papa umzudrehen, läuft er immer weiter in den Gang hinein.
Ganz hinten, vor dem letzten Käfig, bleibt er stehen. In dem Käfig sitzt ein klitzekleines gelbes Monster, nicht viel größer als ein Meerschweinchen. Sein Fell ist zerzaust und strubbelig. Es hat zwei kleine grüne Hörner und ein großes und ein kleines Auge. Und es schielt ein bisschen.
Regungslos sitzt es da und schaut Oskar an.
Oskar geht noch einen Schritt auf das Monster zu. Da fletscht es auf einmal seine Zähne... oder versucht es zumindest. Denn da, wo bei den anderen Monstern riesige Reißzähne oder tausend spitze Stacheln sitzen, sind hier nur drei kleine schiefe Beißerchen zu sehen, nicht viel größer als Oskars eigene Zähne. Oskar kichert.
„Jaja, das passiert ständig“, seufzt die Verkäuferin. „Der Kleine ist einfach nicht gruselig genug.“
Sie will sich gerade umdrehen und gehen, da huscht ein Lächeln über Oskars Gesicht. „Das da!“, sagt er strahlend und deutet auf das kleine gelbe Monster. „Das ist perfekt!“

Auf der Fahrt nach Hause steht der Käfig mit dem kleinen gelben Monster hinten neben Oskar auf dem Rücksitz. Zufrieden schielt er immer wieder nach rechts und freut sich, dass er überhaupt keine Angst hat. Nicht einmal ein klitzekleines bisschen.
Zuhause angekommen trägt Papa den Käfig gleich nach oben in Oskars Zimmer. Aufgeregt läuft Oskar hinter ihm her, gespannt was nun passieren wird. Sie öffnen die Käfigtür und gehen ein paar Schritte zur Seite. Das Monster schaut sich vorsichtig um, überlegt einen Moment. Dann flitzt es blitzschnell in Oskars Zimmer und verschwindet hinten in der Ecke neben dem Kleiderschrank.
Einen Moment lang ist es ganz still. Dann gibt es auf einmal einen lauten Knall und eine kleine grüne Rauchwolke steigt hinter Oskars Bett auf.
„Was war DAS denn?“, ruft Oskar erschrocken.
„Das“, sagt Papa schmunzelnd, „war dein altes Monster. Du musst nämlich wissen, dass in jedem Kinderzimmer auf der ganzen Welt immer nur ein einziges Monster wohnen kann.“
Zum zweiten Mal an diesem Tag huscht ein Lächeln über Oskars Gesicht. Und ganz anders als sonst, kann er es heute kaum erwarten, dass es endlich Abend wird.

Als er sich schließlich bettfertig machen soll, ist Oskar so schnell wie schon lange nicht mehr. So schnell, dass er beinahe vergisst, seine Zähne zu putzen. Aber nur beinahe.
Kaum ist er fertig, rennt er in sein Zimmer und schlüpft unter die Bettdecke. Nicht einmal eine Geschichte soll Mama ihm heute vorlesen.
„Schlaf gut, mein Schatz“, sagt Mama. „Ich hab dich sehr lieb.“
„Ich hab dich auch lieb“, sagt Oskar und kuschelt sich unter seine Decke.
Mama gibt ihm noch einen Gute-Nacht-Kuss. Dann macht sie das Licht aus und zieht leise die Tür hinter sich zu.
Oskar gähnt. Auf einmal ist er sehr müde. Was für ein aufregender Tag! Ob sein Monster wohl noch hinter dem Kleiderschrank sitzt?
„Gute Nacht, Monster“, sagt er vorsichtig in den dunklen Raum hinein. Und aus der Ecke flüstert es zurück: „Gute Nacht, Oskar.“
Dann macht Oskar die Augen zu und schläft zufrieden ein.



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